Freitag, 25. Juli 2008

2. Die Benennung und systematische Einordnung von Eumenes wagnerianus.

Im Jahre 1875, also 5 Jahre nach der Publikation von Wagners Reisebericht, veröffentlichte Henri de Saussure in Band 245 der in Washington herausgegebenen Smithsonian Miscellaneous Collections die in englischer Sprache abgefaßte Schrift "Synopsis of American Wasps" die einen Überblick über den damaligen Wissensstand zu allen vom amerikanischen Kontinent bekannten Arten der Familie der VESPIDAE beinhaltet. Die heute selbständige Familie der solitären Eumenidae war zum damaligen Zeitpunkt systematisch noch nicht von den übrigen Wespen mit meist sozialer Lebensweise getrennt.

Auf Seite 94 dieser Schrift und als 53.igste Art der Gattung Eumenes beschreibt Saussure dann zum ersten Mal den Körperbau und die Färbung des neugefundenen Insektes mit dem Zusatz:

Habitat: Isthmus von Panama. (Aus meiner eigenen Sammlung).
Dieses wunderschöne Insekt wurde mir vom zelebren Reisenden Maurice Wagner aus München zugesandt.

Stand nach der Zuordnung der Wespe zur Gattung Eumenes somit nach der wissenschaftlichen Nomenklatur auch der Gattungsname, eben: Eumenes, schon fest, so stand es dem Erstbeschreiber der Art nunmehr zu, den zweiten wissenschaftlichen Namensteil nach eigenem Gutdünken auszuwählen, wobei dazu zumeist Merkmale des Körperbaues, der Lebensweise, Hinweise auf Nahrungspflanzen oder Habitate oder nicht zuletzt auch der Namen des Sammlers der Art von den beschreibenden Wissenschaftlern ausgewählt werden. Im vorliegenden Falle entschied sich Henri de Saussure dafür, die Wespe nach dem Münchner Forschungsreisenden, der ihm das Exemplar mit der Bitte um Bestimmung vorgelegt hatte, zu benennen. Die akzeptierte wissenschaftliche Bezeichnung für das Tier lautete somit ab Dezember 1875 EUMENES WAGNERIANUS (SAUSSURE, 1875).

In seiner anatomischen Detailbeschreibung des Körperbaues (Habitus) des Insektes stellte Saussure gleichzeitig fest, daß Ähnlichkeiten der "new species" zu 3 anderen Eumenes-Arten bestanden, nämlich Eumenes aztecus, Eumenes flavicornis und Eumenes niger, wobei allerdings die von ihm damals zu Grunde gelegten Trennungsmerkmale, also der Unterschiede in Form, Farbe und Skulpturierung der einzelnen Bestandteile des Insektenkörpers soweit überwogen, daß er sich entschloß, Eumenes wagnerianus als neue Art zu betrachten.

In seiner Diagnose nimmt Saussure auch Bezug auf die auffällige Färbungscharakteristik des Wespenkörpers, allerdings beschreibt er das Exemplar seiner Sammlung als schwarz ("the whole body of a deep black" ) und sah das typische, blauviolette Schillern des gesamten Wespenkörpers nur auf den ansonsten von ihm als "braun" beschriebenen Flügeln ("Wings of a deep brown with violet reflections"). Nun unterscheidet sich Eumenes wagnerianus in seinem gesamten Körperbau nur gering von anderen Eumenes-Arten, wobei insbesondere das charakteristisch geformte, schlanke und stark verlängerte 1. Abdominalsegment ein Unterscheidungsmerkmal bildet, so daß außer der bewundernswerten blau-violetten, schillernden Körperfärbung eigentlich kein anderer Grund für Henri de Saussure bestanden haben kann, das Insekt in seiner Beschreibung als "besonders schönes Tier" hervorzuheben.

In den folgenden Jahren gelangten nun anderenorts der neubeschriebenen Wespe ähnliche oder gar identische Exemplare in Sammlungen anderer, unter anderem auch südamerikanischer Museen, und wurden von den dort tätigen Wissenschaftlern in Unkenntnis der Erstbeschreibung Henri de Saussure´s oder wegen der Höherbewertung anderer taxonomischer Unterscheidungsmerkmale teilweise mit anderen Gattungs- oder Artnamen benannt. Dieses systematisch-taxonomische "Wirrwarr" war im weiteren Verlaufe der Geschichte der Entomologie erst durch die vergleichende Betrachtung aller existierenden entomologischen Sammlungen sowohl in den Herkunftsländern als auch in den maßgeblichen international anerkannten Sammlungen in Übersee (z.B. in Nordamerika, Europa, Ostasien) sowie nachfolgend durch die Ausarbeitung international akzeptierter, einheitlicher Bestimmungsschlüssel zu überwinden. Dies erforderte das Wirken von speziell für diese Tätigkeit ausgebildeten Fachleuten, die sich dazu einen Überblick über alle weltweit existierenden Arten der von ihnen bearbeiteten Tiergruppe – in diesem Fall der Wespen mit ihrer systematischen Untergruppierung der solitären Wespen – zu verschaffen hatten. Praktisch war dies nur dadurch möglich, daß der jeweilige Bearbeiter nach der Erlangung der notwendigen Artenkenntnis von Sammlung zu Sammlung reiste und die dort verwahrten Exemplare "seiner" Tiergruppe mit der international akzeptierten Systematik verglich und die Zuordnung der Sammlungsexemplare den gültigen taxonomischen und nomenklatorischen Regeln anpaßte.

Die gegenwärtig gültige Überarbeitung der Eumenes wagnerianus SAUSSURE betreffenden Artengruppe bzw. der Wespenfamilie der Eumeniden stammt von Antonio GIORDANO SOIKA (1913 – 1997). Über mehrere Jahrzehnte seines Lebens bzw. seiner wissenschaftlichen Arbeit als Entomologe beschäftigte sich der am Naturhistorischen Museum in Venedig tätige italienische Biologe mit der Revision der Systematik der Eumenidae und publizierte dazu im Bolletino Museo Civico di Storia Naturale di Venezia in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehrere ausführliche Artikel mit beachtenswert exakten Detailzeichnungen fast aller betrachteter Wespenarten.

Offensichtlich kam Dr. Soika im Rahmen seiner vergleichenden Studien bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu der Schlußfolgerung, daß es sinnvoll sei, die für den Laien von ihrem Äußeren, d.h. von ihrem Körperbau her kaum zu unterscheidenden Arten der Gattung Eumenes durch die Erschaffung neuer Gattungen taxonomisch neu einzuordnen und durch die Vergabe neuer Gattungsnamen die Eumenidensystematik überschaubarer zu gestalten.

Anläßlich von ihm durchgeführter, vergleichender taxonomischer und systematischer Studien zur Wespengruppe der solitären Eumeniden entschied Dr. Soika, daß es sich bei manchen Arten, die bis dato der Gattung Eumenes zugeordnet waren, aufgrund von ihm als höher zu bewertender Bestimmungsmerkmale, d.h. taxonomischer Artentrennungsmerkmale, um Arten aus einer eigenständigen Wespengattung handeln müsse. In dieser Konsequenz gliederte er die von Saussure der Gattung Eumenes zugeordnete Art E. wagnerianus dort wieder aus und "begründete" in der von ihm neudefinierten Gattung BRACHYMENES G.S. (= GIORDANO SOIKA) den neuen Artnamen BRACHYMENES WAGNERIANUS (SAUSSURE 1875) und publizierte diese Neuzuordnung in den Verhandlungen des 11ten Internationalen Entomologischen Kongresses (1960/1961) in Wien.

Gleichzeitig definierte Soika auf Grund hoher Merkmalsähnlichkeit in dieser neuen Gattung eine Schwesterart, BRACHYMENES DYSCHERUS (SAUSSURE 1852), die er später im Jahre 1988 / 1990 in die beiden Subspecies (Unterarten) B. dyscherus dyscherus und B. dyscherus catarinae n.ssp. aufteilte, nachdem ihm die Existenz von 7, in den Jahren 1947 und 1948 von F. Plaumann in Nueva Teutonia im Bundesstaat Santa Catarina in Brasilien gefundenen und im Museum für Vergleichende Zoologie in Cambridge aufbewahrten, in ihrem Aussehen ähnlichen Wespen bekannt geworden war, die sich in ihrer Färbung von allen übrigen aus Brasilien bekannten B. dyscherus Arten soweit unterschieden, daß ihm die Begründung einer neuen Unterart angebracht schien.

Die in der neuen Gattung aufgegangenen, parallel verwendeten wissenschaftlichen Bezeichungen gibt die folgende Tabelle wieder:


Typisch für beide Wespenarten ist die Anlage von freien (also nicht in Kavitäten oder dafür gegrabenen Tunnels verborgenen) Tonnestern aus kombinierten Tonkammern, die parallel nebeneinander angeordnet sind. Die von B. wagnerianus beschriebenen Nester sind danach elliptisch-symmetrisch aus jeweils 6 kombinierten Tonkammern in einer Ebene aufgebaut während von B. dyscherus Nester von 12-14-mehr Kammern in bis zu 4 übereinandergebauten Lagen bekannt sind. Die Nester ähneln dem von Dr. H. Bischoff in seiner Biologie der Hymenopteren von 1927 auf Seite 207 abgebildeten Nesttyp, den er damals allerdings den Spheciden Sceliphron caementerium bzw. Sceliphron caeruleum zuordnete. Die von Saussure 1875 gewählte Namensgebung für eine von ihm parallel zu Eumenes wagnerianus beschriebene Art (Eumenes chalicodomae, siehe Namenstabelle oben) läßt zudem vermuten, daß diesem damals schon die den Mauerbienen der Gattung Chalicodoma ähnliche Nestbauweise dieser Eumeniden bekannt und für seine Namensauswahl maßgeblich gewesen sein muß.

In Giordano Soikas Bestimmungsschlüssel unterscheidet sich B. wagnerianus von B. dyscherus durch die gleichmäßige Punktierung der Kopfregion zwischen den Augen im Bereich der 3 Ocellen, die bei B. dyscherus von eine unpunktierten Fläche umgeben sind sowie durch die Länge und Form des ersten Abdominalsegmentes, das für B. dyscherus als kürzer bzw. gestauchter abgebildet und mit einem an der Oberseite knopfartigen Auswuchs versehen, abgebildet wird (B. wagnerianus 58, 59, B. dyscherus 60, 61.).

Das für ihn bei der Ausarbeitung des in seiner Publikation "Revisione degli Eumenidi Neotropicali Appartenenti ai generi Pachymenes SAUSS., Santamenes n. gen. SAUSS., Brachymenes G.S., Pseudacaromenes G.S., Stenosigma G.S. e Gamma ZAV / Bolletine Museo Civico Storia Naturale Venezia 39:1988(1990)" im Jahre 1990 veröffentlichten Gattungs-Bestimmungsschlüssel zu Grunde gelegte morphologische Unterscheidungsmerkmal für die Gattungen Pseudacaromenes, Gamma und Brachymenes bildet dabei das "Erste (Abdominal-) -Sternit in morphometrischem Bezug zum dazugehörigen Tergit". Dies sei hier im italienischen Originaltext wiedergegeben:

3.

Il primo sternite è presente solo vicino all´apice del corrispondente tergite, a forma di mezzaluna, o di semicherchio
(Pachymenes, Santamenes, Pirhosigma, Laevimenes, Sphaeromenes, Cyphomenes, Omicron, Eumenes, Stenosigma, Pararhaphidoglossa, Pachyminixi, Minixi, Alphamenes)

- Primo sternite presente in tutta la lunghezza del corrispondente tergite
(Pseudacaromenes, Gamma, Brachymenes)

An dieser Stelle muß allerdings die Frage gestellt werden, ob die Beibehaltung der von Giordano Soika zu Grunde gelegten Gattungsunterscheidungsmerkmale bei der Einbeziehung weiterer Eumeniden-Gattungen wie z.B. Ancistrocerus, Monobia, Montezumia, Pachodynerus, Parancistrocerus und Zeta in einen Bestimmungsschlüssel für alle Eumenidae aufrechterhalten werden kann.

Auch hat die von dem italienisch-sprachigen Naturwissenschaftler gewählte Namensgebung unter deutschsprachigen Entomologen bisweilen Polemik ausgelöst, ist doch die Kombination der griechichen Bedeutungssilben BRACHY (gr.: kurz) und HYMEN (gr.: Haut, häutig) mißverständlich. Hätte der namensgebende Autor durch die Benennung beispielsweise auf im Vergleich zu anderen Eumeniden Gattungen morphometrisch kürzere Hautflügel der in der Gattung "Brachymenes" zusammengefaßten Arten hinweisen wollen, so hätte der Gattungsname korrekterweise BRACHYPTEROMENES lauten müssen, wobei die griechische Bedeutungssilbe PTEROS für Flügel stünde.

Prinzipiell stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der überwiegenden Bedeutung entweder morphologisch-morphometrischer oder ökologischer taxonomischer Merkmale bei der Artbestimmung solitär lebender Eumenidae, wobei der dann mitzuberücksichtigende Aspekt des artspezifischen Nestbaues, der Verwendung unterschiedlichster Nestbaumaterialien und die bemerkenswert variable Formgebung bei der Nestarchitektur dieser Wespengruppe die bisherige Artenzuordnung möglicherweise wieder in Frage stellen würde.

Zusätzlich erschweren bei solitären Wespen, die Nester aus Ton bauen und diese nach dem Einsetzen der Brut unbewacht zurücklassen, gelegentlich vorkommende Brut- bzw. Brutplatz-Parasitierungen und Hyper-Parasitierungen sowie die Sekundärbelegung verlassener Bauten durch andere solitäre Wespenarten die eindeutige Artbestimmung bzw. In-Bezug-Setzung von Nest und ursprünglich bauender bzw. letztendlich aus dem Nest schlüpfender Wespenart, so daß die auf Sammlungsmaterial basierende wissenschaftliche Kenntnis über Tonnestbauten und tonnestbauende Wespenarten bisweilen nur relative Schlußfolgerungen zuläßt.



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